Strafrecht in den Realitäten von Morgen
Kriminalisierungsüberlegungen am Beispiel der Strafbarkeit von Metaverse Gewaltsimulationen
Nina Patel, die in einer virtuellen Realität des Metaverse gruppenvergewaltigt wurde, schrieb 2022: «I froze. It was surreal. It was a nightmare. (…) Psychologically, the mind and body can’t differentiate virtual/digital experiences from real. My physiological and psychological response was as though it happened in reality». Solche Berichte häuften sich seither. 2024 eröffnete die britische Polizei ein Strafverfahren, nachdem ein 16-jähriges Mädchen im Metaverse virtuell gruppenvergewaltigt wurde. Die Übergriffe sind von der physischen Welt strukturell kaum unterscheidbar.
Metaverse bedeutet «erweiterte Realität», eine Symbiose aus physischer und virtueller Welt: «Realität +». KI, hyperealistisches Grafikdesign und Sinnestechnologien wie VR- und AR-Brillen, Bewegungssensoren und haptische Geräte kreieren computergenerierte immersive, interaktive Welten. Zentrales Merkmal ist Immersivität: Nutzer tauchen im Unterschied zu anderen Medien, statt nur emotional, körperlich mit allen Sinnen in die virtuelle Welt ein, sodass Gewalt nicht nur dargestellt, sondern unmittelbar erlebt wird. Der Hauptunterschied zur physischen Realität liegt in der Substanz: Bits und Bytes, statt biologische DNA. INTERPOL sieht in solchen hybriden (physisch-virtuellen) Interaktionen neues Forschungspotential und fordert allenfalls angepasste Definitionen für Straftaten. «MetaCrime» beschreibt Verhaltensweisen im Metaverse, die durch besondere Immersion und hybride Interaktionen geprägt sind.
In der h.L. besteht Einigkeit, wie das Strafrecht seine Realität konstituieren muss: Real- und PhantasyCrime unterscheiden sich zentral durch Vorhandensein eines kriminalisierungsfähigen Rechtsguts bzw. Schadens. INTERPOL fordert daher klare Definitionen der Schäden im Metaverse und dessen, was eine Straftat im 21. Jh. sein soll. Die Dissertation möchte MetaCrimes und Konsequenzen physisch-virtueller Interaktionen in das Strafrecht einordnen, um rechtsdogmatische Strukturen und Strafbarkeitsgründe zu klären. Thematisiert werden auch Gegenargumente wie Selbstverantwortung, Einwilligung, Praktikabilität und Verhältnismässigkeit. Der Fokus liegt auf körperbezogenen MetaCrimes, d.h. Simulationen brutaler Gewalt- und Sexualdelikte. Die zentrale Forschungsfrage lautet: Welche Schäden bewirken hybride Interaktionen und wie kann und soll das Strafrecht sie erfassen?
Unterschiedlichste Fälle von Gewaltsimulationen werden thematisiert. Nachfolgend bspw.: (1) Der Fall Patel löst nach der Sexualstrafrechtsrevision bestehende Unklarheiten auf. Er ermöglicht, Sexualdelikte in digital- und virtualisiertem Umfeld rechtsdogmatisch einzuordnen, aktuelle Debatten wie Täuschungen im Sexualverkehr für die Justiz zu entscheiden und im Hinblick auf künftige Gesetzesrevisionen und Gerichtsentscheide die Kriminalisierungsgründe im Sexualstrafrecht zu klären. (2) Im Metaverse können KI-Entitäten, die wie Kinder aussehen und sich so verhalten, missbraucht werden, was die Debatte um fiktive Kinderpornografie und -sexroboter verschärft. Simulationen werden mit Händen und Füssen erlebt. Es wird untersucht, wie das Gewaltdarstellungs- und Porno-grafieverbot auf immersive, interaktive Welten anwendbar ist, wobei der Moralschutz dieser Normen hinterfragt wird, da keine echten Kinder geschädigt werden. Dennoch bleibt die moralische Empörung und das intuitive Bedürfnis, dieses Verhalten zu regulieren, hoch. Die expressiven Funktion des Strafrechts ist ernst zu nehmen. Kann Strafrecht moralische Verletzungen regeln? Liberale, moralische und feministische Fundamentalismen gilt es neopragmatisch i.S. RORTY‘s zu überwinden, aber gleichzeitig Autonomie und Phantasie in liberalen Identifikations-gemeinschaften zu schützen. Tier- oder Denkmalschutz zeigt, dass es auch ausserhalb der Schädigungslogik überzeugende Argumente für den Schutz bestimmter Werte gibt, wie «Leidensfähigkeit». Während in meisten Medien fiktionale Gewaltsimulationen legal bleiben sollten, könnten sie in einem zur physischen Welt strukturell ähnlicheren Metaverse künftig aus Gründen wie «moralische Kohärenz» oder «Verhaltensäquivalenz» verboten werden, da Phantasie minimal ist. Strafrecht sollte moralische Verletzungen ernst nehmen und überlegen, ob es dahinter schützenswerte Werte gibt, wie Kultur; Leidensfähigkeit, statt moralistische Argumente unter liberalem Deckmantel zu führen; «erhliche bescheidene Rechtsbegründung».
Das Metaverse stellt Justiz und Strafverfolgung vor grosse Herausforderungen, da bestehende Rechtsrahmen oft nicht ausreichen. MetaCrime könnten eine Anpassung der Kriminalisierungsstandards erfordern, da herkömmliche Definitionen physischer Verletzungen nicht genügen könnten. Stattdessen sind moralische; psychologische; neurologische Schäden stärker zu berücksichtigen. Rechtliche Normen sind potentiell anzupassen. Spezialisierte Ermittlungsstrategien und forensisches Know-how sind nötig, um virtuelle Tatorte und digitale Spuren zu sichern. Ange-sichts der globalen Natur erfordert die Verfolgung von MetaCrime verstärkte internationale Kooperation, wobei Organisationen wie INTERPOL eine zentrale Rolle spielen könnten. Strafverfolgungsbehörden müssen für die moralischen Dimensionen von Straftaten im Metaverse sensibilisiert werden, um opferzentriert zu handeln. Die Justiz muss ausserdem die Balance zwischen der Freiheit der Phantasie und der Kriminalisierung virtuellen Verhaltens finden, insb. bei virtuellen Gewalt- und Sexualdelikten, die hohe moralische Verletzungen verursachen.