Forschungs- und Tätigkeitsprogramm

Justizforschung in der Schweiz: Hohe Aktualität & grosses Forschungsdesiderat

In den letzten Jahren sind die Justiz und insbesondere auch justizinterne Angelegenheiten sowie Richterwahlen zunehmend in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Die einst «stille», dritte Gewalt ist zu einem wichtigen Akteur im Zusammenhang mit grundlegenden gesellschaftlichen Entscheidungen und politischen Konflikten geworden.

Mit dieser erhöhten Aufmerksamkeit hat jedoch die wissenschaftliche Auseinandersetzung nicht Schritt gehalten. Sowohl theoretisch als auch empirisch bildet die Schweizer Justiz nur selten Gegenstand vertiefter wissenschaftlicher Forschungen. Das Obwaldner Institut für Justizforschung (IJF) setzt sich daher als nationales Kompetenzzentrum für Justizfragen zum Ziel, diese Forschungslücke zu schliessen.

Forschungsprogramm sowie -ansatz

Die Justizforschung setzt sich insbesondere mit der Organisation und Funktionsweise von Justizorganen, den Wirkungen der Rechtsprechung auf Politik, Gesellschaft und Individuen sowie mit dem Zugang von Rechtsuchenden zur Justiz auseinander.

Das IJF legt in seiner Forschungstätigkeit bewusst ein weites Verständnis von Justiz zugrunde. Nebst den Gerichten sind auch die (Bundes-)Staatsanwaltschaft, die Verwaltungsrechtspflege sowie alternative Formen der Streiterledigung (so etwa die Schiedsgerichtsbarkeit oder die Mediation) mitgemeint.

Auf der einen Seite betreibt das IJF eigene interdisziplinäre Grundlagenforschung im Bereich der Justiz. Das IJF legt bei seiner Forschungstätigkeit besonderen Wert auf eine kritische Reflexion, Inter- und Transdisziplinarität sowie Innovation und Nachhaltigkeit.

Durch die Einwerbung von Drittmitteln, die Wissenschaftskommunikation und das Knüpfen von Verbindungen mit der Justiz sowie der Schweizer Forschungslandschaft ermöglicht das IJF regionale und überregionale Aktivitäten und Projekte und schafft damit Kapazitäten für Doktorierende, Habilitierende und weitere wissenschaftliche Mitarbeitende. Deren Forschungsergebnisse und ihre Bedeutung sollen von Obwalden aus schweizweit kommuniziert und sichtbar gemacht werden.

Bezüglich der Themen wird Aktualität und Breite angestrebt. Themenbereiche und Forschungsfragen aus der Perspektive der Justizforschung sind in etwa:

  • Justizorganisation sowie Aufsicht über die Justiz: Was sind angesichts der hohen Fallbelastung effiziente Organisationsformen der Justiz und wer darf und soll die Justiz beaufsichtigen? Wie und in welcher Form wird die Aufsicht über die Justiz umgesetzt? Wie wird dabei die Unabhängigkeit der Justiz gewahrt?

  • Digitalisierung der Justiz (e-Justice): Würde eine digitale Justiz «gerechter» und effizienter sein? Würde sie die Eintrittsschwelle für Bürgerinnen und Bürger erhöhen oder senken?

  • Verhältnis zwischen staatlicher Justiz und alternativen Konfliktlösungsmodellen (ADR): Soll der staatliche Justizapparat zu Gunsten aussergerichtlicher Konfliktlösungsformen abgebaut werden?

  • Verhältnis von Medien und Justiz: Welche Rolle kommt den Medien bei der Justizkommunikation zu? Gefährdet eine auf Skandale und Sensationen ausgerichtete Medienlandschaft die richterliche Unabhängigkeit? Ist mit der zunehmenden «Verschriftlichung» der Verfahren das Öffentlichkeitsprinzip noch gewahrt?

  • Zugang zur Justiz: Ist unsere Justiz so teuer geworden, dass den Bürgerinnen und Bürgern und vor allem auch den KMUs die Prozessführung faktisch verunmöglicht wird? Oder bedarf es der Kostenbarriere, um eine ausufernde Streitkultur und die Belastung der Staatskasse durch private Streitigkeiten zu vermeiden?

  • Richterwahlen und richterliche Unabhängigkeit: Sollen Richterinnen und Richter weiterhin vom Volk bzw. vom Parlament gewählt werden?

  • Laienjustiz vs. professionalisierte Justiz: Muss die Präsenz von Laien in der Justiz zu Gunsten einer vollständigen Professionalisierung geopfert werden?

 

Öffentlichkeitsarbeit & Wissenstransfer

Nebst der Forschungsausrichtung fördert das IJF die öffentliche Diskussion und den Dialog über Justizthemen durch unterschiedliche Formate und Nutzung aller medialen Möglichkeiten. Dabei sollen auch partizipativ ausgerichtete Informations- und Kommunikationsformen entwickelt werden, um den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen die Funktionsweisen der Justiz näherzubringen und dadurch die Sensibilität für Justizthemen sowie das rechtsstaatliche Bewusstsein in der Gesellschaft zu stärken.