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Das Schicksal von Friedrich Amstutz

Ein Gespräch über die Geschichte von Justiz, Psychiatrie und Vormundschaft in Obwalden

Am Dienstagabend, 5. Dezember 2023, organisierte das Obwaldner Institut für Justizforschung (IJF) im St. Josefshaus in Engelberg ein öffentliches Gespräch zum Thema Justiz und Psychiatrie. Ausgangspunkt des Gesprächs war das vom ehemaligen Bundesrichter Niccolò Raselli kürzlich publizierte Werk «Friedrich Amstutz – Ein Innerschweizer Leben in den Fängen von Psychiatrie und Justiz». Neben Niccolò Raselli sprachen und diskutierten Prof. Dr. Michele Luminati (geschäftsführender Direktor des IJF), Mike Bacher, MLaw (Forschungsmitarbeiter und Rechtshistoriker an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern) sowie Dr. Silvan Schenkel (Geschäftsführer des IJF und Postdoc an der Universität Luzern). Der Anlass war mit 80 Besuchern sehr gut besucht. Das Thema stiess lokal auf grosses Interesse. 

Nach einer Begrüssung der Anwesenden und Vorstellung des Obwaldner Instituts für Justizforschung (IJF) durch Prof. Dr. Michele Luminati stellte Niccolò Raselli zu Beginn des Gesprächs Auszüge aus seinem Buch vor. Er erzählt darin die lokale Geschichte eines Engelberger Landwirts (1891 -1971), welcher sich mit den lokalen Behörden zerstritt und als «unangenehmer Zeitgenosse» ohne hinreichende rechtliche Grundlage und mittels eines fragwürdigen psychiatrischen Gutachtens kurzerhand in einer Klinik administrativ versorgt wurde. Erst 20 Jahre später, als ein zweites Gutachten erstellt wurde, kam Friedrich Amstutz schliesslich frei. Allerdings wurde er weder rechtlich noch finanziell je rehabilitiert und kehrte nie in seine Heimat zurück.

Silvan Schenkel, ordnete den Fall in den grösseren historischen Kontext aus der Perspektive des Zusammenwirkens von Psychiatrie und Justiz ein. Schenkel wies darauf hin, dass sich im 19. Jahrhundert die Anstaltspsychiatrie etabliert und mehr Raum in der Kriminalpolitik und Ursachenforschung von Kriminalität eingenommen habe. Verbrechen und Kriminalität seien dadurch sukzessive in die Nähe von psychischen Krankheiten gerückt worden. Psychiatrische Gutachten in Strafverfahren hätten zudem eine Wichtigkeit bekommen, die noch bis heute anhalte. Zudem sei man der Überzeugung gewesen, dass «kriminelle Energie» vererbbar sei. Auf diese Art sei es möglich gewesen, Menschen aufgrund ihrer vermeintlichen «Gemeingefährlichkeit» administrativ zu internieren, ohne dass diese je eine Straftat verübt hätten. Es reichte aus, dass sie gegen die damaligen «gesellschaftlichen Normen» verstiessen.

Niccolò Raselli kam beim Thema Justiz auf die zivilrechtlichen Beschwerden von Friedrich Amstutz zu sprechen, welche dieser bis vors Bundesgericht trug. Raselli vermied es in seinem Buch, den für Amstutz negativen Entscheid des Bundesgerichts als Fehlurteil zu bezeichnen, nannte ihn aber als sehr formalistisch. Seiner Meinung nach wäre es möglich gewesen, ein anderes Urteil zu fällen. Allerdings dürfe man nicht ausser Acht lassen, dass sich das Recht im letzten Jahrhundert stark weiterentwickelt habe. So galt das Recht auf rechtliches Gehör damals vor Verwaltungsbehörden nicht, weshalb Amstutz nie Gelegenheit geboten wurde, sich zum Sachverhalt richtig zu äussern.

Michele Luminati, Niccolò Raselli (v.l.)

Der Engelberger Rechtshistoriker Mike Bacher analysierte den Fall aus einer regionalen Perspektive und hob hervor, dass der Fall des Landwirts Friedrich Amstutz grundsätzlich das Resultat eines langwierigen Konflikts zwischen der konservativen Bauernschaft und dem aufstrebenden Tourismus im 19. Jahrhundert gewesen sei, wobei die liberalere Hotelier-Familie Cattani eine massgebliche Rolle gespielt habe. Nach dem Ersten Weltkrieg sei die wirtschaftliche Lage für den Tourismussektor und die Hoteliers in Engelberg sehr schwierig gewesen. Das nonkonforme und provozierende Verhalten von Friedrich Amstutz, der überdies von dieser Krise nicht gleichermassen betroffen war, habe dazu geführt, dass sich der Kreis seiner (politischen) Gegner geschlossen habe und diese das Verfahren zur Entmündigung und administrativen Versorgung von Amstutz in Gang gesetzt hätten.

Abschliessend lässt sich festhalten, dass das öffentliche Gespräch über die Geschichte von Justiz, Psychiatrie und Vormundschaft in Engelberg einen tiefen Einblick in die damalige administrative Versorgungs- und Entmündigungspraxis bot. Es bleibt aber darauf hinzuweisen, dass es sich beim Fall «Friedrich Amstutz» nicht um einen Einzelfall handelte, sondern – wie die «Unabhängige Expertenkommission (UEK) Administrative Versorgungen» in ihrem Schlussbericht aufzeigt – zahlreiche Personen in der Schweiz von einem ähnlichen Schicksal betroffen waren. Für den Kanton Obwalden hat Niccolò Raselli mit seinem Buch zu Friedrich Amstutz einen ersten, wichtigen Beitrag zur historischen Aufarbeitung dieser Versorgungspraxis geleistet.

Zum Beitrag der Obwaldner Zeitung gehts hier.

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